Metaphysik
Metaphysik und Epistemologie sind die beiden fundamentalen Zweige der Philosophie. Die Metaphysik beschäftigt sich mit der Natur des Universums als Ganzes. Ausgangspunkt der objektivistischen Philosophie sind die drei Axiome „Existenz“, „Bewusstsein“ und „Identität“. Ein axiomatischer Begriff ist die Identifikation eines primären Faktes der Realität. Er ist implizit in allem Wissen und in allen Fakten, und er erfordert keine Erklärung und keinen Beweis, sondern alle Beweise und Erklärungen beruhen auf ihm. Jede Stellungnahme und jeder Begriff setzt voraus, dass es Existenz, Bewusstsein und Identität gibt. Selbst die Behauptung, dass es Meinungsverschiedenheiten über die Axiome gibt, setzt die Axiome voraus, denn schließlich könnte es gar keine Meinungsverschiedenheiten geben, wenn die Existenz gar nicht existieren würde. Die Validität der Axiome ergibt sich aus der sinnlichen Wahrnehmung der Realität. Wichtig ist allerdings die Feststellung, dass es nicht möglich ist, dass unser gesamtes Wissen von diesen Axiomen deduktiv abgeleitet werden kann. Der breiteste Begriff ist der der Existenz, weil er nichts Spezifisches über existierende Dinge sagt, sondern lediglich, dass sie existieren. Existenz umfasst alles –Entitäten, Handlungen, Eigenschaften, Beziehungen (einschl. Bewusstseinszuständen)- alles was ist, war und sein wird. Bewusstsein, das zweite Axiom, ist nicht implizit in der Tatsache der Existenz, denn eine Welt ohne bewusste Organismen wäre vorstellbar, aber Bewusstsein ist implizit im Begreifen der Existenz durch einen Menschen. Das Bewusstsein ist die Fähigkeit des Gewahrseins, des Begreifens und des Entdeckens. Implizit in den beiden ersten Axiomen ist das letzte Axiom – das Gesetz der Identität. Identität unterscheidet die Dinge voneinander, was ein unterscheidbarer Schritt im Prozess der Erkenntnis ist. Eine Tomate ist eine Tomate, ein Hund ist ein Hund, ein Mensch ist ein Mensch. A ist A. Existenz ist Identität, formuliert Ayn Rand, was bedeutet, dass Existenz und Identität zwar unteilbar sind, aber unterschiedliche Blickwinkel ausdrücken. Wenn ein Ding bestimmte Attribute hat und andere nicht hat, dann kann es nur in einer bestimmten Weise handeln – nur in Übereinstimmung mit seiner Natur. Es ist nicht möglich, dass ein Ding gegen seine Natur handelt, weil Existenz Identität ist. Wenn ein Kind einen mit Helium gefüllten Luftballon aus seiner Hand gleiten lässt, wird er unter normalen Umständen gen Himmel emporsteigen. Nur dieses Ergebnis als Folge des Handelns des Kindes ist möglich. „Das Gesetz der Kausalität ist das Gesetz der Identität bezogen auf das Handeln“, fasst Ayn Rand ihre Position zusammen. Das Gesetz der Kausalität besagt allerdings nicht, dass jede Entität eine Ursache hat –das Universum als Ganzes hat keine Ursache-, sondern lediglich, dass Entitäten die Ursache von Handlungen sind, und diese Entitäten bestimmte Identitäten haben. Das Gesetz der Kausalität lässt sich am besten als Korollar der Identität bezeichnen, d. h. es bezeichnet eine selbstevidente Implikation eines bereits etablierten Wissens. Die explizite Identifikation dieses Gesetzes durch die Griechen war eine enorme intellektuelle Leistung, denn sie repräsentierte den Beginn einer wissenschaftlichen Sichtweise auf die Existenz. Es ist wichtig, die Wechselbeziehung zwischen den Axiomen zu beachten. Existenz ist das erste Axiom. Das Universum existiert unabhängig vom Bewusstsein. Der Begriff Gott und die Argumente, die üblicherweise die Existenz eines solchen Wesens begründen sollen, stellen fundamentale Verletzungen der drei Axiome dar. Eigenschaften wie „Allmacht“, „Allwissenheit“ und „Unendlichkeit“, die Gott zugeschrieben werden, verletzen das Axiom der Identität. Und die Behauptung, Gott sei der Schöpfer des Universums, geht von einem Bewusstsein aus, das existiert, ohne etwas was zu haben, das es wahrnehmen könnte. Existenz muss aber dem Bewusstsein vorausgehen. Existenz kann keinen Anfang, kein Ende, keine Ursache … Sie ist einfach da.
Die genannten Axiome verbinden sich zu einer Metaphysik, die sich als Primat der Existenz zusammenfassen lässt. Die philosophische Quelle dieses Standpunkts und sein wichtigster Vertreter in der Geschichte der westlichen Philosophie ist Aristoteles. Der Primat der Existenz ist ein unverwechselbares Prinzip des Objektivismus. Der Primat der Existenz kann nicht als unabhängiges Prinzip verstanden werden, sondern stellt lediglich eine Ausführung, ein Korollar, der Basisaxiome dar. Es besagt, dass die Existenz dem Bewusstsein vorausgeht, weil das Bewusstsein zwar epistemologisch aktiv ist, metaphysisch aber passiv. Das Gegenteil dieses Ansatzes wird von Ayn Rand als der „Primat des Bewusstseins“ bezeichnet. Die verschiedenen Varianten, die dieses Prinzip vertreten, sehen in dem Bewusstsein den primären metaphysischen Faktor. Dem Bewusstsein wird die Funktion einer Veränderung oder Kontrolle der Natur ihrer Objekte zugeschrieben. A muss nicht A sein, wenn es das Bewusstsein anders wünscht. Der Primat des Bewusstseins hat sich in drei verschiedenen Versionen manifestiert. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Beantwortung der Fragen, wessen Bewusstsein es sein soll, von dem die Realität abhängt. Dominierend innerhalb der Philosophie von Platon bis Hume war eine supernaturalistische Betrachtungsweise, die behauptete, dass die Existenz das Produkt eines kosmischen Bewusstseins sei. Immanuel Kant säkularisierte im 18. Jahrhundert den religiösen Standpunkt durch die Vorstellung des menschlichen Geist, der die Existenz schafft. Eine dritte Version des Primats des Bewusstseins schreibt jedem einzelnen Bewusstsein die Fähigkeit zu, die Existenz zu kontrollieren – für sich selbst. Der Objektivismus lehnt alle drei Versionen des Primats des Bewusstseins nachdrücklich ab, weil ihnen allen gemein ist, dass sie das Axiom der Existenz ablehnen. Wenn die Existenz dem Bewusstsein vorausgeht und unabhängig von jedem Bewusstsein existiert, folgt daraus, dass Wissen über die Existenz nur durch Extrospektion möglich ist. Extrospektion bedeutet, dass epistemologisch nichts von Bedeutung ist außer dem, was wir durch Sinnesdaten oder durch begriffliche Integrationen solcher Daten gewonnen haben. Introspektion hingegen ist kein Mittel der externen Erkenntnis, so notwendig und richtig die Introspektion beim Begreifen der Inhalte des Bewusstsein oder seiner Prozesse ist. Wenn die gegenteilige Position eines Primats des Bewusstseins eingenommen wird, wird die Introspektion zu einem Mittel der externen Kognition. Durch „Intuition“, „Offenbarungen“, „angeborene Ideen“ oder „angeborene Strukturen“ sollen Menschen danach in der Lage sein, Wissen über die Existenz zu erlangen.
Die objektivistische Sichtweise der Existenz kulminiert in dem Prinzip, dass zu den Fakten der Realität keine Alternative möglich oder vorstellbar ist. Das metaphysisch Gegebene ist unveränderbar, unvermeidbar, absolut. „Absolut“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass diese Tatsache „notwendig“ ist und ihre Nichtexistenz einen Widerspruch bedeuten würde. Tatsachen von einer solchen Art müssen ohne Evaluation akzeptiert werden. „Das metaphysisch Gegebene“, schreibt Ayn Rand, „kann nicht wahr oder falsch sein, es ist einfach.“ Metaphysisch gegeben ist auch die Willensfreiheit des Menschen. Nichts kann einen anderen Menschen veranlassen, zu denken. Der Versuch, dass metaphysisch Gegebene zu verändern, wird von Ayn Rand als Fehler des „Umschreibens der Realität“ bezeichnet. Von dem was metaphysisch Gegeben ist, muss das Menschengemachte unterschieden werden. Das Sonnensystem ist metaphysisch gegeben, Kommunikationssatelliten hingegen werden von Menschen gemacht. Menschengemachte Fakten sind nicht „notwendig“, sondern „gewählt“. Und da es sich um Tatsachen handelt, die aufgrund einer Wahl in die Welt gekommen sind, sind sie grundsätzlich einer Bewertung zugänglich und sie müssen auch bewertet werden, und anschließend akzeptiert oder verworfen werden. Beide Arten von Fakten müssen sorgfältig unterschieden werden, und jede entsprechend ihrer Art behandelt werden. Menschengemachte Fakten haben auch eine Identität, sie haben auch Ursachen, und wenn sie existieren, dann existieren sie unabhängig von der Tatsache, ob ein bestimmter Mensch sie anerkennt. Aber die ultimative Ursache für ihre Existenz sind Entscheidungen von Menschen, und diese Entscheidungen hätten auch anders ausfallen können. Das metaphysisch Gegebene als absolut anzusehen, leugnet nicht, dass es die menschliche Fähigkeit der Kreation gibt. Aber Kreativität ist nur möglich und erfolgreich, wenn sie mit dem metaphysisch Gegebenem konform geht. Ein Flugzeug ist ein von Menschen gemachtes Produkt, aber Voraussetzung für ein erfolgreiches Abheben vom Boden und eine sichere Landung ist die Anerkennung dessen, was metaphysisch gegeben ist.
In seiner Betonung des Absolutismus der Realität steht der Objektivismus nicht nur im Gegensatz zum Idealismus, sondern auch zum Materialismus, der behauptet, dass der Geist oder das Bewusstsein entweder gar nicht existiert oder sich auf Materie reduzieren lässt. Ayn Rand beschreibt die Materialisten als „Muskelmystiker“, weil sie, wie die Idealisten auch, die menschliche Fähigkeit der Vernunft zurückweisen. Wo die Idealisten, die „Mystiker des Geistes“, ein Bewusstsein ohne Existenz propagieren, befürwortet die materialistische Position eine Existenz ohne Bewusstsein. Damit verwerfen sie die Möglichkeit einer naturalistischen Sichtweise des Bewusstseins, wie sie der Objektivismus in Übereinstimmung mit den Fakten vertritt. Bewusstsein ist ein Attribut von einer bestimmten Gruppe von lebenden Organismen hier auf der Erde. Es ist durch Introspektion direkt wahrnehmbar. Es hat eine bestimmte Natur und handelt entsprechend, d. h. gesetzmäßig. Seine Funktion ist es, dass Leben seiner Träger zu erhalten, dadurch, dass die Fakten der Natur wahrgenommen werden können und dadurch erfolgreiches Handeln möglich gemacht wird. Nichts an dieser Fähigkeit ist unnatürlich oder übernatürlich. Den vermutlich bekanntesten Materialisten, Karl Marx, hielt Rand philosophisch für unbedeutend: „Aristoteles und sogar Platon sind heute bedeutend; Marx ist es nicht. Er ist politisch bedeutend, aber nicht philosophisch. Er ist eine Fußnote zu Hegel.“
Ayn Rands Position des Primats der Existenz führt zu einer unverwechselbaren Sichtweise über das Verhältnis von Geist und Körper. Besonders herauszustellen ist dabei unter anderem die Zurückweisung der Leugnung des Bewusstseins, die sich selbst widerlegt. Ferner ist festzuhalten, dass das Bewusstsein als separate Entität nicht existieren kann. Das Bewusstsein hat eine Identität, funktioniert durch bestimmte Mittel, einschließlich der Sinnesorgane, und drückt sich durch körperliche Mittel aus. Dieses Bewusstsein ist in der Lage, ursächlich für Handlungen sein, was Menschen bei sich selbst durch Introspektion erkennen können, bei anderen Entitäten, die über ein Bewusstsein verfügen, durch Beobachtung. Diese drei Thesen unterstützen eine vierte These, die von der fundamentalen Harmonie von Geist und Körper. Kein Denker in der Geschichte der Philosophie hat dies in einer so tiefschürfenden und integrierten Weise getan.