Objektivismus
Amerika
„Ayn Rand ist ein amerikanisches kulturelles Phänomen,“ beginnt Allan Gotthelf sein Buch On Ayn Rand und tatsächlich ist die Diskrepanz zwischen der Anerkennung und Verehrung, die Ayn Rand in Amerika erfährt, und ihrer Akzeptanz im Rest der Welt, vor allem außerhalb der englischsprachigen Welt, erheblich. Dies ist natürlich kein Zufall. Ayn Rand sprach durch ihre Romane aus, was viele Amerikaner fühlten, aber niemand vorher in derart prägnante Worte übersetzt hatte.
Philosophie
Aber sie war nicht nur die Autorin überaus einflussreicher Romane, sondern auch die Schöpferin einer kompletten Philosophie, der sie den Namen Objektivismus gab. Sie sah Philosophie als absolut notwendig für jeden Menschen an, wie sie es in ihrer Rede an der Militärakademie von West Point betonte: “Als ein menschliches Wesen haben Sie keine Wahl hinsichtlich der Tatsache, dass Sie eine Philosophie brauchen.” Die Frage ist nur, ob sich Menschen bewußt für eine Philosophie entscheiden und ob es eine Philosophie ist, die Erfolg und Glück auf dieser Welt möglich macht. 1971 faßte Ayn Rand in ihrer Zeitschrift The Objectivist ihre Philosophie folgendermaßen zusammen: „Ich bin nicht in erster Linie eine Befürworterin des Kapitalismus, sondern des Egoismus; und ich bin nicht in erster Linie eine Befürworterin des Egoismus, sondern der Vernunft. Dies – der Vorrang der Vernunft – war, ist und wird immer das primäre Anliegen meiner Arbeit sein, und die Essenz des Objektivismus.“
Tradition
So originär Ayn Rand in ihrem Denken war, so läßt sich nicht bestreiten, dass auch sie auf gewisse Traditionen aus der Geschichte der Philosophie zurückgriff. Als Rand 1976 bei einer Vortragsveranstaltung gefragt wird, ob es außer Ayn Rand und Aristoteles noch andere Philosophen gebe, die bedeutende philosophische Wahrheiten identifiziert hätten, erwähnt sie Thomas Aquinas, der am Ende des Mittelalters die Philosophie von Aristoteles nach Europa zurückgebracht habe. Aber auch er stand nur auf den Schultern des größten aller Philosophen: Aristoteles, dem Rand zwar einige Fehler attestiert, aber der in ihren Augen ein philosophischer Atlas ist, der die gesamte westliche Zivilisation auf seinen Schultern trägt. Als „Aristotelianismus ohne Platonismus“ bezeichnet Leonard Peikoff in OPAR Rands Philosophie.
Verbreitung
Fortschritte bei der Ausbreitung ihrer Philosophie muss man sicherlich, zumindest für die USA, konstatieren, aber ist der Objektivismus wirklich zu einer prägenden Kraft innerhalb der amerikanischen Kultur geworden? Steve Chapman beschrieb 2005 in einem Kommentar für die Washington Times Ayn Rand als eine Person, die im Mainstream Amerikas angekommen sei: „Die radikale Befürworterin von Individualismus und Kapitalismus, die 1982 starb, ist nicht länger mehr eine exotische Vorliebe.“ Man sollte sich allerdings nicht täuschen lassen von Briefmarken mit Rands Konterfei oder von den Aussagen von Prominenten, die angeblich von Rand inspiriert wurden, denn wenn sich Rand wirklich im Mainstream Amerikas etabliert hätte, sähe dieses Land anders aus.
PRIMAT DER EXISTENZ
Ausgangspunkt der objektivistischen Philosophie sind die drei Axiome „Existenz“, „Bewusstsein“ und „Identität“. Die genannten Axiome verbinden sich zu einer Metaphysik, die sich als Primat der Existenz zusammenfassen lässt. Die philosophische Quelle dieses Standpunkts und sein wichtigster Vertreter in der Geschichte der westlichen Philosophie ist Aristoteles. Der Primat der Existenz ist ein unverwechselbares Prinzip des Objektivismus. Es besagt, dass die Existenz dem Bewusstsein vorausgeht, weil das Bewusstsein zwar epistemologisch aktiv ist, metaphysisch aber passiv.
EPISTEMOLOGIE
Der Primat der Existenz zwingt Menschen wie Tiere gleichermaßen, Wissen von einer vom Bewusstsein unabhängigen Realität zu erlangen, aber der Mensch muss als fehlbares, begriffliches Wesen durch eine richtige Erkenntnistheorie Kenntnis darüber erlangen, welchen Regeln er dabei folgen muss. Die dem Menschen angemessene Methode besteht aus der richtigen Anwendung seiner rationalen Fähigkeit, der Vernunft. Denken ist allerdings keine automatische Funktion. Der Mensch muss sich dafür entscheiden, auf die Vernunft zurückzugreifen. Gefühle sind ebenso wichtig wie die Vernunft, aber sie sind keine Quelle der Erkenntnis. Gefühle sind nur Konsequenzen unserer Ideen, und unsere Ideen sind nur eine Konsequenz unseres Denkens.
ETHIK
Die objektivistische Ethik ist die erste Ethik in der Geschichte, die konsequent den Primat der Existenz zum Ausdruck bringt. Sie tut dies, weil sie erkennt, dass die Existenz –die metaphysisch gegebenen Fakten einschließlich der Natur des Menschen- ein bestimmtes Verhaltensrepertoire von Menschen einfordert. „Nur ein Kodex, der auf den Erfordernissen der Realität basiert“, schreibt Leonard Peikoff, „befähigt den Menschen, in Harmonie mit der Realität zu handeln.“ Wenn ein Lebewesen wie der Mensch der ständigen Alternative von Leben und Tod ausgesetzt sind, kann es nur einen ultimativen Wert geben: das Leben. Als ultimativer Wert ist er der Maßstab, an dem sich alle anderen Werte messen müssen.
POLITIK
Als philosophische Bewegung vertritt der Objektivismus auch politische Prinzipien, da die Politik einen Zweig der Philosophie darstellt. Diese politische Prinzipien sind allerdings nur als Konsequenz und praktische Anwendung seiner fundamentalen philosophischen Prinzipien anzusehen. Das ideale politische System bezeichnet Ayn Rand als Laissez-faire Kapitalismus. Es ist das Gesellschaftssystem, dass die Rechte des Indivdiuums uneingeschränkt bejaht und verteidigt. Die Quelle der Individualrechte ergibt sich aus der grundlegenden Natur des Menschen als eines rationalen Wesens, dessen Vernunft -eine Fähigkeit, die ausschließlich Individuen eigen ist- sein einziges Mittel zum Überleben ist.
Literatur:
Essentials of Objectivism